Kampf der agilen Frameworks

Scrum vs. Kanban? Warum die Entscheidungslosigkeit unser größter Vorteil war

In einer Phase starken Wachstums standen wir, die ambarics software & consulting GmbH & Co. KG, vor neuen Herausforderungen: Unser Team vergrößerte sich, unsere Projekte wurden komplexer und es wurde zunehmend notwendig, unsere Arbeitsabläufe besser zu strukturieren. In diesem Text erläutere ich, wie uns die Einführung von „Professional Scrum with Kanban“ nicht nur zu mehr Effizienz und besserer Zusammenarbeit verholfen hat, sondern auch eine nachhaltige Grundlage für kontinuierliche Weiterentwicklung geschaffen wurde.

Wer ich bin

Mein Name ist André, ich bin seit 2022 Teil des Consulting-Teams von ambarics. Mein beruflicher Hintergrund ist technisch geprägt, mein Anspruch an meine Arbeit hoch. Ich beschäftige mich gerne intensiv mit komplexen Themen, bis ich sie vollständig erfasst habe. Mit diesem Blogbeitrag, zu unseren internen Lern- und Entwicklungsthemen, möchte ich euch einen kleinen Einblick in das Innere von ambarics geben.

Ausgangssituation

Durch unser Wachstum – von drei auf fast zehn Mitarbeitende – traten zunehmend operative Probleme auf. Die Kommunikation wurde fragmentierter, Informationen blieben oft bei einzelnen Personen hängen. Die Komplexität der kundenspezifischen ERP-Projekte führte in Kombination mit knappen Ressourcen immer wieder zu Engpässen. Aufgaben wurden vergessen, blieben unvollständig oder wurden nicht rechtzeitig weitergegeben. Der Überblick über offene Tätigkeiten in Projekten oder Supportfällen ging leicht verloren. Außerdem fehlte eine strukturierte Methode, um spontane Supportanfragen effizient zu bearbeiten.

In unserer täglichen Arbeit agieren wir als Schnittstelle zwischen Softwarelieferant, eigenen Entwicklungen und den Anforderungen unserer Kunden. Viele Anfragen lassen sich nicht sofort zuordnen, da sie unvollständig sind oder Informationen fehlen. Trotzdem ist es unser Anspruch, auch unter diesen Bedingungen zuverlässige Lösungen zu finden – ohne jedes Detail im Voraus kennen zu müssen.

Lösungsansatz

Während einem unserer monatlichen Lerntage stieß ich auf das Framework „Scrum“. Die darin enthaltenen Prinzipien wie feste Sprintzyklen, klare Rollen und regelmäßige Abstimmungen schienen gut geeignet, unsere Projektarbeit besser zu strukturieren. Allerdings ließ sich Scrum nur schwer mit den spontan auftretenden Supportanfragen in Einklang bringen. Hier zeigte sich Kanban als passende Ergänzung, da es besonders für die flexible Bearbeitung ungeplanter Aufgaben geeignet ist.

Bereits zuvor hatten viele Teammitglieder erfolgreich mit persönlichen Kanban-Boards gearbeitet. Diese Erfahrung erleichterte die Einführung eines gemeinsamen Boards für das gesamte Team. Gerade im Support, wo viele Anfragen unvollständig sind, half Kanban dabei, Aufgaben klar zu visualisieren und Rückfragen strukturiert zu platzieren – inklusive der Zuordnung, auf wessen Seite der Ball aktuell liegt. So geht nichts verloren und alle bleiben am Ball.

Scrum und Kanban erscheinen auf den ersten Blick widersprüchlich:

  • Scrum basiert auf Planbarkeit in fixen Sprintzyklen.
  • Kanban priorisiert einen kontinuierlichen Arbeitsfluss mit klar definierten Schritten.

Dank der Weiterentwicklung durch Scrum.org und prokanban.org gibt es inzwischen eine Methode, beide Ansätze zu kombinieren: „Professional Scrum with Kanban (PSK)“. Nach Rücksprache mit der Geschäftsleitung und einer Schulung bei Alexander Hardt begannen wir mit der Umsetzung im Team. Wir entwickelten einen einheitlichen Workflow und führten ein zentrales, digitales Kanban-Board ein. Die Aufgabenverteilung wurde dadurch deutlich transparenter – insbesondere bei Übergaben zwischen den Teams.

Unsere täglichen Daily Stand-Ups unterstützten die Zusammenarbeit im Rahmen eines Sprint-Rhythmus und ermöglichten einen besseren Austausch von Fachwissen. Früher arbeitete jeder für sich; nun besprechen wir offene Themen im Daily, was die Kommunikation verbessert und lange Liegezeiten reduziert.

In der Einführungsphase wurden zunächst mehrere Sprints zusammengefasst. Heute nutzen wir das gemeinsame Board als zentrale Übersicht für Aufgabenstatus – unabhängig davon, ob jemand krank, im Urlaub oder verhindert ist. Die Arbeit bleibt nachvollziehbar. Wo früher nur der Bearbeiter selbst den Überblick hatte, kann jetzt jeder im Team den Stand erkennen.

Wichtige Änderungen im Arbeitsmodus

Basierend auf unseren Erfahrungen legten wir das Work-in-Progress-Limit (WIP) auf fünf Tickets pro Mitarbeitenden und Woche fest. So vermeiden wir Überlastung und stellen sicher, dass Aufgaben abgeschlossen sind, bevor neue begonnen werden. Die Planung erfolgt jeweils montags. Innerhalb des Teams gelten seitdem auch klare Regeln für Übergaben.

Diese Methode hilft uns, sowohl kurzfristige Supportfälle als auch langfristige Beratungs- und Entwicklungsaufgaben zu priorisieren. Natürlich kommt es zu Zielkonflikten – ähnlich wie in einer Notaufnahme, in der nicht jeder Patient gleichzeitig behandelt werden kann. Auch wir müssen priorisieren, was wann bearbeitet wird. Die Ressourcen sind begrenzt – und das muss in der täglichen Arbeit berücksichtigt werden.

Dank einer offenen Haltung im Team und dem Willen zur Veränderung verlief die Umstellung weitgehend reibungslos. Entscheidend war, dass wir intern eine kooperative Kultur pflegen, die Veränderungen trägt und unterstützt. Ohne Teamgeist und Rückhalt auf technischer und organisatorischer Ebene wäre diese Umstellung kaum möglich gewesen.

Ein weiterer Meilenstein war die Einführung eines Work-Item-Age-Diagramms. Mithilfe farblich kodierter Ansichten für unterschiedliche Rollen konnten Engpässe schneller identifiziert und priorisiert werden. Auch hier stand Transparenz im Mittelpunkt.

 

Unser Teamboard, welches direkt in unser ERP-System, die Myfactory, integriert wurde. (Beispiel 1)

Die Ergebnisse

Die positiven Effekte zeigten sich schnell: Aufgaben gingen nicht mehr verloren, die Priorisierung wurde klarer, Prozesse strukturierter, Kundenanfragen konnten gezielter bearbeitet werden. Spontane Supportfälle wurden effizienter gelöst. Die interne Zusammenarbeit profitierte stark durch die neue Transparenz. Doppelarbeit wurde vermieden, Zuständigkeiten waren klar geregelt.

Das Prinzip „Stop starting – start finishing“ wurde ein Leitgedanke unserer Arbeit. Wir haben ein nachhaltiges Arbeitstempo gefunden, das gesund bleibt. Unsere Planungsmeetings reduzierten sich von über zwei Stunden auf etwa 30 Minuten – eine Ersparnis von rund 780 Stunden im Jahr. Das entspricht fast zwei Wochen zusätzlicher Produktivzeit pro Person.

Wichtige Erkenntnisse

  1. Transparenz ist Voraussetzung für nachhaltige Verbesserungen.
  2. Jedes Team muss seinen eigenen Weg finden – Frameworks sind Werkzeuge, keine Selbstzwecke.
  3. Veränderung braucht Geduld, aber sie zahlt sich aus.

Blick in die Zukunft

Wir möchten künftig verstärkt auf Flow-Metriken setzen, Bearbeitungszeiten standardisieren und unsere Scrum-Events effizienter strukturieren. Auch ein mögliches Dienstleistungsangebot auf Basis unseres angepassten Systems ist in Prüfung.

Unser Weg zeigt: Wer nicht stur an einem Framework festhält, sondern passende Elemente flexibel kombiniert, kann echte Fortschritte erzielen. Professional Scrum with Kanban hat unsere Arbeitsweise nachhaltig verändert – hin zu mehr Effizienz, mehr Zusammenarbeit und einer besseren Balance zwischen Planbarkeit und Spontanität.

AB

P.S.: Weil wir unser Projekt so gut umgesetzt haben, wurde ich von scrum.org eingeladen, bei ihrem Scrum.org Community Podcasts mitzumachen. Hier ist der Link, für alle Interessierten. Da es ein internationales Format ist, wurde die Folge auf Englisch aufgenommen. Wer nicht gern Englisch hört und lieber Deutsch liest, bekommt hier die Möglichkeit.

🎙️ Podcast: Value Delivered – Wie ambarics mit Scrum & Kanban ihren ERP-Support transformierte

Einleitung
In dieser Folge des Scrum.org Community Podcasts spricht Dave West mit André Bohn von ambarics sowie dem Professional Scrum Trainer (PST) Alex Hardt darüber, wie die Kombination aus Professional Scrum und Kanban dem Unternehmen geholfen hat, den ERP-Support deutlich effizienter zu gestalten. Durch mehr Transparenz, klare Work-in-Progress-Grenzen und die Visualisierung der „Work Item Age“ konnte das Team ungeplante Arbeit besser steuern, Eskalationen reduzieren und die Kundenzufriedenheit steigern.


Dave West (scrum.org):
Willkommen zum scrum.org Community Podcast. Heute haben wir ein spannendes Thema: Wie ambarics Professional Scrum nutzt, um Kunden im herausfordernden ERP-Umfeld – vor allem in der Fertigungsindustrie – zu unterstützen. Besonders interessant: Das Team kombiniert Scrum mit Kanban. Für viele wirken diese Methoden wie Gegensätze – aber heute zeigen wir, wie sie sich hervorragend ergänzen.

Ich begrüße André Bohn, Projektmanager und Berater bei ambarics. Schön, dass du da bist!

André Bohn:
Hallo! Schön hier zu sein.

Dave:
Außerdem mit dabei: Alex Hardt, PST bei scrum.org, der André und seinem Team das nötige Wissen zu Scrum & Kanban vermittelt hat.

Alex Hardt:
Danke für die Einladung – ich freue mich sehr.


Wer ist ambarics und was machen sie?

André:
Wir sind sozusagen eine Art Franchise-Partner. Unsere ERP-Software kommt von einem Entwickler, der jedoch keinen Support bietet. Diesen Teil übernehmen wir – und zwar komplett. Das heißt: Wir sind die Schnittstelle zwischen Software und Kunde. Dabei geht es nicht nur um Support, sondern auch um neue Projekte, Onboardings und kundenspezifische Weiterentwicklungen.

Unsere Kunden kommen hauptsächlich aus dem KMU-Bereich – also kleine bis mittelgroße Unternehmen aus der Industrie. Da ist viel Bewegung drin, viele Anforderungen ändern sich schnell – und genau das macht es so anspruchsvoll.


Warum Scrum mit Kanban kombinieren?

André:
Anfangs waren wir ein sehr kleines Team – alle im gleichen Raum, gute Kommunikation, alles agil. Aber mit dem Wachstum kamen neue Räume, Homeoffice, mehr Aufgaben – und immer mehr Fragmentierung. Die Prozesse passten nicht mehr zum Team. Es fühlte sich an, als würde ein Team von acht Leuten arbeiten wie früher mit drei – das konnte nicht mehr funktionieren.

Ich wollte also die Prozesse verbessern. Nach langem Überlegen landete ich bei Scrum und Kanban. Beide Frameworks haben ihre Stärken und Schwächen:

  • Scrum ist super für planbare Projekte.

  • Kanban funktioniert besonders gut bei spontanen Aufgaben.

Doch wie kriegt man beides zusammen?

Bei einem unserer Lerntage stieß ich auf den Kurs Professional Scrum with Kanban (PSK) von Alex – und dachte: „Das ist es! Genau das brauchen wir.“
Denn unsere Realität ist: spontane Supportanfragen und Projekte. Mit PSK konnten wir endlich ein Framework schaffen, das beidem gerecht wird.

Alex:
Das war bemerkenswert – viele machen Scrum oder Kanban, aber ambarics hat direkt beides kombiniert. Und nicht nach Lehrbuch, sondern so, wie es für sie funktioniert. Das ist echte Agilität: das Framework an die Realität anpassen, nicht umgekehrt.


Was hat sich konkret verändert?

André:
Ganz klar: Transparenz. Früher hatte jede*r seine Aufgaben im Kopf oder irgendwo im System – aber keiner wusste genau, woran wer gerade arbeitet.

Mit dem Kanban-Board wurde alles sichtbar: aktuelle Aufgaben, geplante Schritte, Blocker. Selbst wenn jemand krank oder im Urlaub ist – wir wissen jetzt, was auf dessen „Tisch“ liegt. Das erleichtert auch die Planung enorm. Unsere Sprint-Planung dauerte früher 2 Stunden – jetzt sind wir in 30 Minuten durch.

Ein weiteres Highlight: das Work-in-Progress-Limit. Früher haben wir alles angefangen, was reinkam. Heute sagen wir auch mal: „Ja, können wir machen – aber erst, wenn Platz ist.“ Wir sind deutlich fokussierter auf das Abschließen statt nur auf das Anfangen.


Welche Rolle spielt das Work Item Age?

André:
Ein echtes Aha-Erlebnis! Manche Tickets lagen ewig unbeachtet im System, weil niemand nachgefragt hat. Mit dem Kanban-Board und dem Work Item Age Diagramm sehen wir sofort, wenn etwas zu lange liegt. Das hilft uns, Tickets aktiv nachzufassen – und Kunden wirklich zu betreuen, statt nur zu reagieren.


Gab es sichtbare Erfolge?

André:
Absolut. Weniger Eskalationen, bessere Planbarkeit, mehr Struktur. Kunden spüren den Unterschied vielleicht nicht direkt – aber sie merken, wenn’s nicht läuft. Durch die neue Arbeitsweise treten solche Situationen einfach seltener auf.


Was rätst du anderen Teams, André?

André:
Einfach anfangen. Es gibt keinen Nachteil. Scrum & Kanban ergänzen sich großartig.
Wer nicht gleich das ganze PSK-Framework einführen kann: Starte mit kleinen Schritten:

  • Arbeite transparent.

  • Begrenze die parallele Arbeit.

  • Beobachte, was lange liegen bleibt.

Das allein bringt schon enorme Verbesserungen.


Alex:
Und: ambarics hatte einen echten Vorteil – ein kleines Team, klare Verantwortlichkeiten und bereits eine gute Teamkultur. Das erleichtert Veränderungen enorm.


Dave:
Danke euch beiden für diese tolle Folge! Ihr habt gezeigt, wie man Agilität wirklich lebt – angepasst an die eigene Realität, mit Fokus auf Menschen, nicht nur Prozesse.

Und für alle Hörer:innen: Denkt dran – das Motto lautet nicht:
„Fangt mehr an“, sondern:
„Hört auf anzufangen – fangt an, zu beenden.“

Unser Teamboard, welches direkt in unser ERP-System, die Myfactory, integriert wurde. (Beispiel 2)