Und wieder mal ist Freitag… ich bin jede Woche auf´s Neue fasziniert von der Geschwindigkeit, in der eine Woche vergeht. Wir sprechen hier immerhin von 7 Tagen! Das sind 168 Stunden oder 10.080 Minuten beziehungsweise 604.800 Sekunden – große Zahlen, trotzdem ist so eine Woche quasi nur ein Moment. Da darf man schon mal fasziniert sein.
Erinnert ihr euch…?
Im Beitrag zum Thema virtuelle Realitäten kam ich kurz auf eine junge, glückliche Frau zu sprechen, die eigentlich gar nicht so glücklich war. Erinnert ihr euch? Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich ihr Beispiel thematisiere. Ich hab mich dagegen entschieden. Nachdem ich aber, über den Sommer verteilt, noch weitere Berührungspunkte mit der Thematik „Depression“ hatte, fiel mir besonders der unterschiedliche Einsatz von Social Media bei Erkrankten ins Auge. Vielleicht ist es ja doch ein Thema…!? Ja. Ja! JA!
Warum thematisieren?
Depression ist die häufigste psychische Erkrankung weltweit und wird generell unterschätzt. Man könnte sagen „Depression goes Mainstream“. Jährlich erkranken 5,3 Mio Menschen alleine in Deutschland. Statistisch gesehen ist jede 4. Frau und jeder 8. Mann mindestens einmal im Leben von einer Depression betroffen. Stellt euch mit euren Freunde und Bekannten doch einfach mal in eine Reihe und zählt durch… Auch wenn es euch nicht direkt selber trifft, ist die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch, dass es einen erwischt, der euch nahesteht. Und dann schaut ihr dumm aus der Wäsche, das kann ich euch versprechen. Depression ist mehr als nur schlechte Laune oder Traurigkeit des Betroffenen. Depression kann auch für das Umfeld zu einer echten Herausforderung werden. Kräfte- und nervenzehrend zum Einen, eine Maximalanforderung an die Geduld zum Anderen. Auf jeden Fall wird es unterschätzt. Einem depressiven Menschen sagt man nicht: „Sei doch einfach wieder glücklich!“. Gerade für eine gesunde Psyche ist es schwer nachvollziehbar, was das Problem ist. Häufig mangelt es auf unserer Seite an Verständnis. Man kann es nicht sehen, nicht anfassen oder riechen. Je älter wir sind, desto schwieriger wird es, diesen Zustand zu begreifen. Nichts desto trotz ist es eine ausgewachsene Krankheit, die behandelt werden muss.
Über das Bewusstsein
Bekanntermaßen gibt es keinen Paradeweg, um mit Krankenheiten umzugehen. Grundvoraussetzung ist aber auf jeden Fall, dass man sich seiner Krankheit bewusst ist. Hierbei gilt allerdings auch wieder der Grundsatz „bewusst“ ist nicht gleich „B-E-W-U-S-S-T“. Das ist übrigens allgemein gültig und nicht nur in Bezug auf Depressionen. Kleines Beispiel gefällig? Ich bin krank. Ich leide an einer Erkrankung des Innenohrs (sieht, hört und riecht man übrigens auch nicht!), welche mich unvermittelt umfallen lässt. Von jetzt auf gleich -Bupp!- lieg ich irgendwo rum. Der ganze Spaß hat mich inzwischen schon das Hörvermögen auf der rechten Seite gekostet, links zieht nach. Ich bin auf einer Seite taub. Man könnte auch sagen, ich habe eine Behinderung. Das ist mir bewusst. Dennoch kam es mir bisher nicht in den Sinn, einen Schwerbeschädigtenausweis zu beantragen. Meine Chancen ständen gut… trotzdem ist das dieser eine Schritt der mir zum B-E-W-U-S-S-T noch fehlt. Die Tatsache, dass man über seine „Mängel“ Bescheid weiß, ist nicht automatisch ein Garant für Bewusstsein. Ich hoffe, mein Beispiel konnte die Problematik ein wenig veranschaulichen.
Volkskrankheiten und die Sozialen Medien
Wer das eben genannte Bewusstsein für seine jeweilige Krankheit entwickelt hat, findet in den sozialen Medien durchaus Hilfe zur Selbsthilfe. Auch Angehörige von Betroffenen finden in digitalen Selbsthilfegruppen Ratschläge, Tipps, Tricks oder auch einfach mal ein offenes Ohr. Der Vorteil an dieser Geschichte ist, dass das ganze theoretisch anonym stattfinden kann. Viele schämen sich für Ihre Hilflosigkeit und unabhängig davon, ob es nun berechtigt ist oder nicht, finden sie hier Gleichgesinnte. Man tauscht sich aus. Manchen hilft es, sich mit seiner Krankheit auseinanderzusetzen, ohne einem Anderen dabei ins Gesicht schauen zu müssen. Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, eine digitale Selbsthilfegruppe kann in keinem Fall eine Therapie ersetzen, aber gegebenenfalls kann sie begleiten und/oder unterstützen. Sie kann Hemmungen abbauen oder Verständnis aufbauen.
Ein Instrument, drei Möglichkeiten
Depressionen sind allgegenwärtig. (Kurz zur Erinnerung: jede 4. Frau, jeder 8. Mann). Meine Freundesliste bei Facebook zählt aktuell 364 Personen. Gehen wir davon aus, dass diese zu 50% aus Männern und 50% aus Frauen besteht, bedeutet dies 45,5 potenziell depressive Frauen und 22,75 potenziell depressive Männer in meinem digital erfassten Bekanntenkreis. (Ich kenne übrigens jeden meiner Facebook-Freunde auch persönlich.) Bei den Herren bin ich mir nicht ganz sicher, aber bei den Damen konnte ich tatsächlich bereits 6 Betroffene ausmachen. Und ich konnte beobachten, wie sie die sozialen Medien instrumentalisieren – oder auch nicht.
Variante 1: „Das muss ich teilen.“
In der Variante 1 (kurz V1) lässt der Betroffene keine Gelegenheit aus, um den Freundeskreis an jedem Hoch und Tief teilhaben zu lassen. Und mit „jedem“ meine ich auch tatsächlich auch JEDEN! Schlecht geschlafen? Check. Warm geduscht? Check? Motivierendes Frühstück? Check. Wohngruppe aufgemischt? Check. Der blöd, der toll? Check. Mittagessen unterwegs? Check. Laune schlägt um? Check. Dankbarkeit ausgedrückt? Check. Kritiker und genervte Follower beleidigt? Check. Der Blöde ist jetzt toll, der Tolle blöd? Check. Warum? Check. Laune schlägt wieder um? Check. Sport gemacht? Check. Erfolge geteilt? Auch check. Worauf ich hinauswill: Die V1 nutzt die sozialen Medien als Tagebuch und ihre Follower als legale Leser. Eine V1 wird keine Möglichkeit auslassen, irgendwas zu posten. Bilder, Sprüche, Geschimpfe, Gedanken – es gibt keine Tabus. Hintergrund: Die V1 hat durch exzessives Posten die Möglichkeit, jeden einzelnen Schritt nachzuvollziehen und ggf. Erfolge als solche zu erkennen oder Praxisbeispiele zu analysieren.
Variante 2: „Schau, meine Erfolge!“
Eine Variante 2 (kurz V2) überschüttet uns mit schlauen oder motivierenden Sprüchen, um uns ihre Erfolge mitzuteilen und uns am Prozess der Genesung teilhaben zu lassen. Eine V2 postet nie etwas Negatives. V2 ist eine wandelnde Motivationsbombe, deren Krankheit vom ungeübten Auge schnell übersehen werden kann. Hintergrund: V2 muss sich positive Dinge vor Augen führen, getreu dem Motto „Was man oft liest, muss wahr sein.“. Die V2 braucht positiven Zuspruch und Anerkennung für die eigene Leistung oder Einstellung wie Luft zum Atmen. Das ist nichts Schlimmes, kann aber mit unter für ihre Mitmenschen eine echte Herausforderung sein.
Variante 3: „Und tschüss!“
Eine Variante 3 (kurz V3) lässt sich von Posts ihrer Mitmenschen ausschließlich negativ beeinflussen. V3 gerät in einen Strudel, der sie tief nach unten zieht. Diese Variante erfreut sich nicht an Positivem, sie ist viel mehr traurig wegen der Tatsache, dass andere Glück erleben. Gerade in Bezug auf die virtuelle Realität, der ich bereits einen anderen Beitrag gewidmet hatte, stellt das ein enormes Gefahrenpotenzial dar. Ein ohnehin depressiver Mensch, der mit der geballten Pracht absoluter Perfektion und Glücks konfrontiert wird, bekommt Schwierigkeiten damit, auch Rückschläge als Notwendigkeit hinzunehmen. Um sich selbst zu schützen, wird die V3 den Sozialen Medien (wenigstens vorübergehend) den Rücken kehren, um ihren Kampf fern ab virtueller Realitäten zu bestreiten.
Genervt vom Blabla
Aus persönlicher Erfahrung im Freundeskreis kann ich sagen, dass jeder Betroffene seinen eigenen Weg finden muss, mit seiner Krankheit umzugehen. Ich kenne Typen aus allen 3 Varianten. Auch ich bin von der V1 und V2 gelegentlich mal genervt, trotzdem käme es mir nicht in den Sinn, das auch auszuleben. Ich bin froh, nicht nachvollziehen zu können, wie sich eine Depression anfühlt. Wahrscheinlich kann ich auch keinem Depressiven wirklich helfen. Dennoch plädiere ich auf mehr Verständnis und vor allem mehr Feingefühl aus der Umwelt. Es spielt keine Rolle, ob ihr euch in eine bestimmte Lage hereinversetzen könnt. Wichtig ist, auch mal die Klappe zu halten, wenn nur unangebrachter Murks dabei herauskäme. Denkt immer daran: Auch ihr könntet die Vierte oder der achte in der Reihe sein. Und einem Asthmatiker gibt man auch nicht den Rat, er solle einfach mal anständig atmen, weil ausreichend Luft verfügbar ist.