Mit Dir sprech ich nicht mehr.

Weißt du noch, früher...

Was waren das nur für Zeiten, in denen (Verkaufs-/Beratungs-)Gespräche noch von Angesicht zu Angesicht stattfanden. Ein Leben ohne diese Art der Kommunikation ist vor allem für Handwerker und enge Freunde nach wie vor undenkbar und doch ergreift die gesichtslose Kommunikation langsam die Macht über unterschiedlichste Branchen oder Gesprächsgruppen. Immer mehr Dienstleister bekommen ihre Kunden kaum noch zu Gesicht. Immer häufiger wissen nur noch enge Freunde oder Kollegen, wie die Stimme ihres Gesprächspartners klingt. Hintergrund bieten hierfür diverse Umstände, welche wir im folgenden auf unterschiedlichste Arten betrachten möchten.

Kommunikation und seine Entwicklung

Fluch und Segen der Digitalisierung ist die ständige Erreichbarkeit. Wir telefonieren mit dem Smartphone, mit dem Festnetz, über den Computer, von Zuhause, von Unterwegs, im Urlaub, im Büro. Es gibt keine Grenzen mehr. Hierbei macht es in der Regel keinen Unterschied, ob unsere Gespräche privater oder geschäftlicher Natur sind. Sie finden einfach überall statt. Es bietet die Möglichkeit der Zeitersparnis während des Informationsaustausches. Während vor 100 Jahren Gespräche nur in Anwesenheit aller Gesprächsteilnehmer stattfinden konnten, haben wir heute die Möglichkeit, diese räumlich voneinander unabhängig durchzuführen. In vielen Bereichen geht die Digitalisierung inzwischen so weit, dass Gespräche zum Teil überflüssig werden. Sollte man doch in die Versuchung (oder die Bedrängnis) kommen, Kontakt mit einer anderen Person aufnehmen zu wollen oder zu müssen, gibt es hierfür inzwischen außer der Telefonie noch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten.

"Schreib doch ´ne Mail!"

Erst gestern wurde ich Zeuge eines Gespräches zwischen zwei Angestellten eines Dienstleistungsunternehmens. Relativ schnell wurde auch mir als Außenstehende klar, dass die Dame sich vor dem Gespräch mit dem Kunden ein wenig fürchtete, oder es ihr zumindest unangenehm zu sein schien. Sie teilte ihrer Kollegin mit, dass sie jetzt eigentlich gar keine Lust dazu habe, den Kunden anzurufen. Die Kollegin hatte glücklicher Weise einen Geistesblitz, welchen ich auch im privaten Bereich immer häufiger beobachte, und gab folgenden Tipp: "Schreib ihm doch einfach ´ne Mail!?". Ich dachte kurz über diesen Rat nach... und tatsächlich! Ich hätte es vermutlich genauso gemacht. Ich hatte zwar keine Ahnung, was das Problem war, aber offensichtlich wusste die Dame schon, dass ihre Lösung für den Kunden nicht adäquat sein konnte. Unangenehme Nachrichten überbringen wir lieber in Textform. So umgehen wir negative Gefühlsausbrüche und verhindern, dass das Problem eines anderen, zum eigenen Problem wird. Bis es dann zu einer sprachlichen Kommunikation zwischen Nachrichtenempfänger und Nachrichtenüberbringer kommt, ist meist der erste Ärger bereits verflogen. Eigentlich eine clevere Lösung, die aber leider inzwischen weit über das Überbringen schlechter Nachrichten hinaus geht. Da man sich nicht nur Ärger sondern auch Zeit spart und es uns ein bisschen das Gefühl von Erhabenheit gibt, neigen wir inzwischen dazu, diese Form der Kommunikation für alles Mögliche zu wählen. Auch aus Kundensicht kommunizieren wir lieber online, als telefonisch oder gar Face-to-Face. Wir favorisieren die Option, wenigstens gesichtslos zu bleiben, weil sie uns über unseren Schatten springen lässt. Unser Gesprächspartner weiß ja nicht, wer wir sind, würde er uns auf der Straße treffen. Wenn möglich klären wir Probleme oder Anfragen sogar nur noch im Chat. Diese Option weist neben den genannten Vorteilen aber auch Schattenseiten auf: Beispielsweise verlieren wir das ernsthafte Interesse an unseren Mitmenschen und den Bezug zueinander.

Ein kleines Beispiel im Wandel der Zeit: Urlaub.

Früher: Die Buchung eines Urlaubs lief noch in den 90er Jahren recht monoton, dafür aber mit einer unfassbaren Vorfreude. Nach langer Vorbereitungszeit und vielen Gesprächen mit Freunden, Kollegen und Bekannten, unternahm der urlaubsreife Reisewillige damals noch einen Ausflug zum Reisebüro seines Vertrauens, um dort ein Beratungsgespräch mit dem engagierten Reiseverkehrskaufmenschen zu führen, welcher mit dem unvoreingenommenen Kunden gemeinsam oder nach dessen Vorgaben Kataloge wälzte. Sollte bereits während jenes Gespächs der Traumurlaub gefunden worden sein, spazierte unser urlaubsreifer Reisewillige beschwingt und voller Vorfreude mit einem Prospekt nach Hause. Sollte sich im ersten Anlauf kein Traumurlaub aufgetan haben, spazierte der zukünftige Urlauber nicht ganz so beschwingt -dafür aber mit Reisekatalogen schwer bepackt- nach Hause. Parallel zum häuslichen Katalogewälzen im Kreise der Familie tat es der Berater im Reisebüro seinem Kunden gleich. Zum vereinbarten Zeitpunkt wurde sich dann im Reisebüro wiedergetroffen, die Ergebnisse ausgewertet und durch das Fachpersonal gebucht. Gemeinsam mit dem Berater freute man sich über seinen gemeinsamen Erfolg und über den bevorstehenden Urlaub. Zurück im heimischen Wohnzimmer, hatte man ausreichend Zeit, um die Vorfreude weiter auszubauen. Ein kurzer Moment der Euphorie-Pause stellte sich dann beim Gang zur Bank ein... so ein Urlaub musste ja schließlich auch früher schon bezahlt werden. Ein kurzer Plausch mit dem Bankkaufmenschen am Schalter sorgte allerdings meist für einen erneuten Vorfreude-Kick. Da waren sie wieder... die Gespräche über den bevorstehenden Urlaub. Der Gang zur Versicherung läutete den anstehenden Beginn der Reise ein, lange bevor die Koffer gepackt wurden. Und während man Auslandsreisekranken-, Gepäckschutz- oder Reiseunfallversicherung abschloss, tauschte man sich gleichzeitig mit dem Versicherungsfachmann aus - und freute sich nochmals mit diesem über den bevorstehenden Trip. So entstand eine unglaubliche Urlaubs-Euphorie, die jede Reise zu einem Erlebnis werden lassen musste. Nach dem Urlaub, hatte man anschließend noch die Möglichkeit, jedem von seinen Erfahrungen des Aufenthalts zu berichten. Wenn dann -nach einer gewissen Wartezeit für die Entwicklung- noch die Bilder in der Drogerie abgeholt waren, durften die Gesprächspartner auch endlich (!) die Bilder zum Reisebericht bestaunen.

Heute: Der urlaubsreife Reisewillige sucht sich ein bequemes Sitzmöbel am Ort seines Vertrauens. Laptop, PC, Smartphone oder Tablet werden angeschalten - den Möglichkeiten sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Schnell wird eins der vielfach beworbenen Reiseportale im Browser aufgerufen und die Wunschdaten der Reise eingeklimpert. Bei erfolgreichem Fund, wechselt man die Ansicht zu einem Bewertungsportal, um zu checken, wie die getroffenen Wahl bei anderen Urlaubern abgeschnitten hat. Ist alles gut, öffnet man im nächsten Schritt ein Vergleichsportal, um den geringsten Preis für die gewünschte Reise zu ermitteln. Mit der Buchung der Reise, wird diese meist direkt online via Kreditkarte oder PayPal bezahlt oder wenigstens angezahlt. Mit Abschluss der Buchung poppen im Regelfall direkt noch Angebote zu gegebenenfalls notwendigen Versicherungssparten oder anderen Bedarfsempfehlungen auf. Auch diese lassen sich direkt online mit wenigen Klicks abschließen oder erwerben. Der Urlaub beginnt und schon während der Reise lassen wir via Facebook, Instagram und Co. bereits alle Freunde und Bekannte an den Reiseeindrücken teilhaben. Sind wir zurück im gewohnten Umfeld, fragen nur wenige nach unserem Urlaub - wissen ja schon fast alle Bescheid über Wetter, Befindlichkeiten, Hotel und Aktivitäten. Schnell ist der Urlaub in unseren Gedanken weit nach hinten gerutscht. Der Alltag hat uns wieder.

Nur eine Frage der Definition?

Das Beispiel "Urlaub" zeigt ziemlich deutlich auf, wie sich die Kommunikation in den letzten Jahren verändert hat. Natürlich kommuniziert heute der Dienstleister immer noch mit dem Kunden. Online. Das geht schneller, ist aber gleichzeitig unpersönlicher. Nach wie vor kommunizieren wir mit unseren Mitmenschen auch privat. Überwiegend online. So wird der Kreis derer, mit denen man Gespräche führt, nach und nach immer kleiner. Doch diese Entwicklung alleine macht das Paradoxum noch nicht aus. Im Gegensatz zum Rückgang unserer gesprochenen Kommunikation mit Menschen, wird die sprachliche Kommunikation mit unserer Technik immer ausgefeilter. Sprachsteuerung ist das neue Tippen. Wir sagen unserem Fernseher, dass er umschalten soll, unserem Navi im Auto, wo es uns hinführen soll, unserem Smartphone, was es schreiben soll und Siri oder Google, dass wir Informationen zu einem Thema X brauchen.

Kommunikation in Zeiten von Digitalisierung

Wir kommunizieren offensichtlich auch weiterhin mit unserer Umwelt, aber die Gespräche werden weniger. Wir skypen, whatsAppen, smsen, twittern, posten, tun und machen. Jeder weiß ein bisschen, doch keiner kennt die Wahrheit hinter den Bildern, die wir auf unseren Profilen veröffentlichen. Wir schaffen uns mit Hilfe von sozialen Medien quasi eine zweite Identität. Nicht selten gibt es inzwischen den Menschen und sein Profil - aber keinen richtigen Match zwischen beiden. Wir propagieren uns selbst, unser Ego und vor allem unsere Follower/ Freunde oder wie auch immer die Kontakte der entsprechenden Plattform gerade heißen. Wie wir fühlen, was wir brauchen oder was wir uns wünschen ist für unser digitales Umfeld kaum noch zu erfassen. Dafür weiß unser Internet-Browser schon was wir suchen, bevor wir es suchen. Überall wird uns Werbung gezeigt, welche direkt auf uns und unsere Bedürfnisse abgestimmt wurde. Was uns gefällt, wird geliked. Was uns gut gefällt, wird geteilt, oder auch verlinkt. Wenn uns etwas besonders gut gefällt, lösen wir sogar alle verfügbaren Interaktionen aus.

Digitalisierung, moderne Kommunikation und Weiterentwicklung

Das alles sind wichtige Bestandteile unserer Zeit. Sowohl beruflich als auch privat profitieren wir von den Folgen. Wir sind noch lange nicht am Ende und ich bin furchtbar gespannt, was uns noch für Möglichkeiten erwarten. Dennoch sollten wir versuchen, nicht ganz in die digitale Welt zu versinken. Zwischenmenschliche Erfahrungen kann uns bisher keine Maschine ersetzen. Erinnerungen in Bild und Ton lassen sich digital speichern, dazugehörige Emotionen jedoch nicht.

Darum meine klare Empfehlung:

Schafft euch freie Zeiten. Trefft euch mit Freunden und traut euch, euer Telefon stumm zu schalten oder zu ignorieren, wenn ihr im Gespräch mit Menschen seid. Das ist ein Zeichen von Respekt. Unterhaltet euch mit Menschen, wenn ihr auf den Bus, die Bahn, das Taxi oder den Sommer wartet. Sorgt dafür, dass es Menschen gibt, die euch kennen - und nicht nur euer Profil. Seid eine Persönlichkeit und nicht nur ein Name. Zeigt Emotionen und nicht nur Emojis. Schafft euch gemeinsame Erinnerungen mit Menschen, die euch wichtig sind. Und um Gottes Willen: Lächelt Menschen an, die euch auf all euren Wegen in der realen Welt entgegenkommen. Der ein oder andere wird sich jetzt wahrscheinlich fragen, wie das funktionieren soll... Kleiner Tipp: Wer beim Laufen nicht auf sein Smartphone starrt, bemerkt auch die Leute, die einem sonst verborgen bleiben.

 

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